.... in 3 Szenen insbesondere für Kenner der Verschreibkunst, vom großen Widersacher alles Guten gewidmet den Gebildeten unter seinen Verächtern.
1. Szene, in der gereimt, geweint, geplant, geflucht, gestampft, gesungen und gegutachtet wird.
"Ich hab's getragen zehen Jahr und trag' es nimmermehr!" seufzte der große Vorsitzende des Landesvolkschaftsverbundes, Karl-Otto Splitting, das schwere Kassengestell auf der spitzen Nase zurechtrückend, durch das Halbdunkel der großen Halle seines niedersächsischen Rauchhauses. In dessen Mitte loderte eine herrschaftlich beizende Flamme und trocknete die auf dem umlaufenden Gesimse versammelten Schrumpfköpfe der gefallenen Feinde aus - eine stolze Sammlung illustrer Häupter, bis auf die Bronzezeit zurückreichend, als seine Vorfahren das Moor urbar gemacht und mit all dem Takelzeug aufgeräumt hatten, welches vörderhin dort so herumkrebste. Splitting tastete verwirrt nach dem sorgfältig mit Haarcreme geglätteten, quer auf dem kahlen Haupt befestigten Seitenhaar, welches schon deutlich graumelierte und dem großen Vorsitzenden anzeigte, daß es bald Zeit zum Einrücken sein würde bzw. Zeit, Ämter und Tagwerk ruhen zu lassen und sich auf seine unüberschaubaren Ländereien zurückzuziehen.
"Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los!"
rezitierte der große Vorsitzende, dessen Liebe zur Literatur und den schönen Künsten weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt war, den norddeutschen Bauernpoeten Rainer Maria Rilke. - Und auf den Fluren laß die Winde los : Au wei, da war es wieder, jenes Wort, welches des großen Vorsitzenden Eintritt in den Lebensabend zu überschatten drohte und ihm die Gicht in die arbeitssamen Gelenke trieb: Die Fluren waren noch immer nicht bereinigt, das Lebenswerk noch nicht vollbracht! Wut und Trauer kämpften in der Seele unseres Flurbereinigungs-Heros, und es obsiegte die Trauer ob des Unverstandes der Menschheit, namentlich jenes Teils der Menschheit, der sich im benachbarten Weiler Nachterstadt angesiedelt hatte und aus allerhand ambulantem Volk bestand, auf das man keinen Pfifferling geben mochte, und das mit viel Geschrei und Gedöns gegen seinen herrlichen Ratschluß aufbegehrte.... Trauer umfing sein Herz, und er trat vor das große bleiverglaste Fenster und rezitierte weiter:
"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt ein Landwirt ist, wird's ewig bleiben
Ans Ministerium lange Briefe schreiben
Und wird auf Schotterwegen hin uns her
Unruhig wandern, wenn die Häcksler Silo schneiden."
Splitting hatte nicht bemerkt, daß sich von hinten sein getreuer Adlatus, der ehemalige Landwirt Osterholt, ihm zärtlich angenähert hatte und dem Schluchzenden seine von vielen Jahren entsagungsvollen Geldnachzählens gegerbten Hände auf die Schultern legte und also sprach:
"Herr, Ihr habt schon ein Haus gebaut: Euren schönen Altersruhesitz, mitten auf der weiten Flur, wo kein Baum stören kann und anderer Unrat, der von Euch nicht gesät wurde und so frech ist, trotzdem zu wachsen. Ein schönes Haus ist's, mit Innensproßen in den Plastikfenstern, einer Doppelgarage für den Opel Geronta, beleuchteter Warmwasserspülung auf dem Aborte, Treppenlift und sogar Krüppelwalmimitat! Ich sitze nun seit 40 Jahre auf mein' Hof..."
"Ach, lieber Osterholt, Ihr habt wohl recht, nur hinein kann ich noch nicht! Und warum nicht? Weil mein Lebenswerk, der vierspurige Autobahnzubringer mit Rastplatz, Tankanlage und Vergnügungscenter zwischen der Uhrenreege und Nachterstadt vom Landesamt für Geodesinformation und Leidenschaft Niedersaxen noch nicht planfestgestellt wurde! Und warum wurde er noch nicht planfestgestellt? Warum nicht?"
Ein heftiger Weinkrampf schüttelte den großen Vorsitzenden. Osterholt versuchte zu helfen:
"Ich sitze seit 40 Jahre auf mein' Hof! Seit Vier-zig-Jar-re! Aber das...!!"
Der große Vorsitzende wehrte seinen Getreuen unwirsch ab:
"Wer will das denn wissen? Nein, das echte Übel, die eigentliche Geißel, der wahre Widersacher alles Guten, das ist diese eine Kreatur, ah! Nein, Kreatur nehme ich zurück, denn das verweist auf etwas Geschaffenes, und ER wuchs nur zufällig aus einer bösen Ausdünstung des Bodens hervor! Jener, dessen Name mir für alle Zeiten unaussprechlich sein wird! Er, der Verhinderer! Ich wollte die Wasser für Alle teilen, wollte ich, chrrrrn, aber ER, oh ER!!"
Der große Vorsitzende redete sich in Rage. Oh, könnte er jenen Belial und sein Fliegenheer, das ihn in seinem elenden Treiben unterstützte und gegen den segensbringenden Autobahnzubringer aufbegehrte, der durch die angeflanschte Rast-Tank-Vergnügungsstätte den darbenden Landwirten in der Region ein schönes Auskommen ermöglichte, nur zermalmen! Könnte er ihn nur zerquetschen wie jene kleinen widerlichen schwarzen Käfer, die nachts vom Flett in sein Bett hinunterkrabbelten, um mit ihren spitzen kleinen Rüsseln sich an den Resten seiner Haarcreme zu besaugen. Grmpf! Schrmpf! Wrrschn! Allem voran galt es, IHN in die Schranken zu weisen, IHM das Lästermaul zu stopfen, IHM, dessen Hirn durch die Lektüre zahlreicher schlechter Bücher offenbar aufgeweicht worden war, IHM, diesem windigen Händler, von dem man nicht wußte, woher er seine Gelder und Apanagen bezog (vom Verscheuern des alten Drecks konnte er ja unmöglich leben), IHM, diesem...
"Blocker! So war ich seit 40 Jahre auf mein' Hof sitze! Der Name ist Programm! Blockiert alles! Blocker, Polocher oder so ähnlich! Heißt er! Kaum so alt wie ich auf mein' Hof sitze! Und blockiert alles!"
Osterholt stampfte wütend mit dem rechten Fuß auf den verdichteten Lehmboden der Halle, und das Moor übertrug seinen stummen Protest mit dumpfen seismischen Schwingungen weit über die Uhrenreege hinaus bis ins nahe Nachterstadt, wo in einem hell beleuchteten Saale voller Bücher die Festgesellschaft der Gegner des Autobahnzubringers Nachterstadt unter dem Absingen zweifelhafter Lieder und mit Zuhilfenahme allerlei dunkler Likörchen lärmend ihr frugales Mahl zu sich nahm.
"If you're going to Nach-ter-stadt City", so sang die angeheiterte Truppe, "be sure to avoid the Autobahn-zu-brin-ger"; "Es geht ein Weg nach nirgendwo"; "All streets come to an end", "Strassen ohne Ziel", und viele andere populäre Lieder, in denen die Planung des großen Vorsitzenden und seiner Getreuen veralbert wurde. Dabei hatte die Festgesellschaft die denkbar schlechtesten Argumente: Hauptsächlich berief man sich auf die Tatsache, daß die nächste Autobahn über 15 Kilometer entfernt, noch hinter Quaderberg, liege, und ein Autobahnzubringer deshalb vollkommen sinnlos sei. Dafür wolle man nicht Haus und Hof opfern [immerhin sollten sieben historische Landhäuser abgerissen, deren Bewohner in die ortsüblichen Schlichtbauten umgesiedelt und der überwiegende Teil der verbleibenden Resthöfe als Schaubauten in den neuen Vergnügungspark integriert werden]. Die rein auf Eigennutz basierende Fadenscheinigkeit dieser Argumentation war offensichtlich und schrie zum Himmel; was von dem einzigen objektiven Geist in Nachterstadt, dem Rechtsgelehrten Dr. Teichmann, glücklicherweise frühzeitig erkannt und sogar in einem ausführlichen Gutachten langweilig bewiesen wurde. Dazu analysierte Dr. Teichmann messerscharf heraus, daß die gesamte Festgesellschaft nur gegründet worden war, um sich unter dem Mäntelchen einer angeblichen Bürgerinitiative gepflegt zuschütten, besaufen und volldröhnen zu können. Die Saubande, die ausgeschamte! Aber was half's? Solange die Nachterstädter ihren Widerstand aufrecht erhielten, war die Planung gefährdet.
[Ende der ersten Szene]
Lesen Sie bald in diesem BLOG:
Szene 2
- Wie die Nachterstädter es immer doller treiben bis ihnen Bacchus, der Weingott, erscheint.
- Wie die Aufmerksamkeit des großen Vorsitzenden hin zu größeren Aufgaben gelenkt wird.
- Wie eine Abordnung der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften beim Versuch, den Plan des Autobahnzubringers zu verstehen, ins Delirium fällt und nur Dank einer Flasche Alten Hullmanns ins Leben zurückfindet.
"Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los!"
rezitierte der große Vorsitzende, dessen Liebe zur Literatur und den schönen Künsten weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt war, den norddeutschen Bauernpoeten Rainer Maria Rilke. - Und auf den Fluren laß die Winde los : Au wei, da war es wieder, jenes Wort, welches des großen Vorsitzenden Eintritt in den Lebensabend zu überschatten drohte und ihm die Gicht in die arbeitssamen Gelenke trieb: Die Fluren waren noch immer nicht bereinigt, das Lebenswerk noch nicht vollbracht! Wut und Trauer kämpften in der Seele unseres Flurbereinigungs-Heros, und es obsiegte die Trauer ob des Unverstandes der Menschheit, namentlich jenes Teils der Menschheit, der sich im benachbarten Weiler Nachterstadt angesiedelt hatte und aus allerhand ambulantem Volk bestand, auf das man keinen Pfifferling geben mochte, und das mit viel Geschrei und Gedöns gegen seinen herrlichen Ratschluß aufbegehrte.... Trauer umfing sein Herz, und er trat vor das große bleiverglaste Fenster und rezitierte weiter:
"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt ein Landwirt ist, wird's ewig bleiben
Ans Ministerium lange Briefe schreiben
Und wird auf Schotterwegen hin uns her
Unruhig wandern, wenn die Häcksler Silo schneiden."
Splitting hatte nicht bemerkt, daß sich von hinten sein getreuer Adlatus, der ehemalige Landwirt Osterholt, ihm zärtlich angenähert hatte und dem Schluchzenden seine von vielen Jahren entsagungsvollen Geldnachzählens gegerbten Hände auf die Schultern legte und also sprach:
"Herr, Ihr habt schon ein Haus gebaut: Euren schönen Altersruhesitz, mitten auf der weiten Flur, wo kein Baum stören kann und anderer Unrat, der von Euch nicht gesät wurde und so frech ist, trotzdem zu wachsen. Ein schönes Haus ist's, mit Innensproßen in den Plastikfenstern, einer Doppelgarage für den Opel Geronta, beleuchteter Warmwasserspülung auf dem Aborte, Treppenlift und sogar Krüppelwalmimitat! Ich sitze nun seit 40 Jahre auf mein' Hof..."
"Ach, lieber Osterholt, Ihr habt wohl recht, nur hinein kann ich noch nicht! Und warum nicht? Weil mein Lebenswerk, der vierspurige Autobahnzubringer mit Rastplatz, Tankanlage und Vergnügungscenter zwischen der Uhrenreege und Nachterstadt vom Landesamt für Geodesinformation und Leidenschaft Niedersaxen noch nicht planfestgestellt wurde! Und warum wurde er noch nicht planfestgestellt? Warum nicht?"
Ein heftiger Weinkrampf schüttelte den großen Vorsitzenden. Osterholt versuchte zu helfen:
"Ich sitze seit 40 Jahre auf mein' Hof! Seit Vier-zig-Jar-re! Aber das...!!"
Der große Vorsitzende wehrte seinen Getreuen unwirsch ab:
"Wer will das denn wissen? Nein, das echte Übel, die eigentliche Geißel, der wahre Widersacher alles Guten, das ist diese eine Kreatur, ah! Nein, Kreatur nehme ich zurück, denn das verweist auf etwas Geschaffenes, und ER wuchs nur zufällig aus einer bösen Ausdünstung des Bodens hervor! Jener, dessen Name mir für alle Zeiten unaussprechlich sein wird! Er, der Verhinderer! Ich wollte die Wasser für Alle teilen, wollte ich, chrrrrn, aber ER, oh ER!!"
Der große Vorsitzende redete sich in Rage. Oh, könnte er jenen Belial und sein Fliegenheer, das ihn in seinem elenden Treiben unterstützte und gegen den segensbringenden Autobahnzubringer aufbegehrte, der durch die angeflanschte Rast-Tank-Vergnügungsstätte den darbenden Landwirten in der Region ein schönes Auskommen ermöglichte, nur zermalmen! Könnte er ihn nur zerquetschen wie jene kleinen widerlichen schwarzen Käfer, die nachts vom Flett in sein Bett hinunterkrabbelten, um mit ihren spitzen kleinen Rüsseln sich an den Resten seiner Haarcreme zu besaugen. Grmpf! Schrmpf! Wrrschn! Allem voran galt es, IHN in die Schranken zu weisen, IHM das Lästermaul zu stopfen, IHM, dessen Hirn durch die Lektüre zahlreicher schlechter Bücher offenbar aufgeweicht worden war, IHM, diesem windigen Händler, von dem man nicht wußte, woher er seine Gelder und Apanagen bezog (vom Verscheuern des alten Drecks konnte er ja unmöglich leben), IHM, diesem...
"Blocker! So war ich seit 40 Jahre auf mein' Hof sitze! Der Name ist Programm! Blockiert alles! Blocker, Polocher oder so ähnlich! Heißt er! Kaum so alt wie ich auf mein' Hof sitze! Und blockiert alles!"
Osterholt stampfte wütend mit dem rechten Fuß auf den verdichteten Lehmboden der Halle, und das Moor übertrug seinen stummen Protest mit dumpfen seismischen Schwingungen weit über die Uhrenreege hinaus bis ins nahe Nachterstadt, wo in einem hell beleuchteten Saale voller Bücher die Festgesellschaft der Gegner des Autobahnzubringers Nachterstadt unter dem Absingen zweifelhafter Lieder und mit Zuhilfenahme allerlei dunkler Likörchen lärmend ihr frugales Mahl zu sich nahm.
"If you're going to Nach-ter-stadt City", so sang die angeheiterte Truppe, "be sure to avoid the Autobahn-zu-brin-ger"; "Es geht ein Weg nach nirgendwo"; "All streets come to an end", "Strassen ohne Ziel", und viele andere populäre Lieder, in denen die Planung des großen Vorsitzenden und seiner Getreuen veralbert wurde. Dabei hatte die Festgesellschaft die denkbar schlechtesten Argumente: Hauptsächlich berief man sich auf die Tatsache, daß die nächste Autobahn über 15 Kilometer entfernt, noch hinter Quaderberg, liege, und ein Autobahnzubringer deshalb vollkommen sinnlos sei. Dafür wolle man nicht Haus und Hof opfern [immerhin sollten sieben historische Landhäuser abgerissen, deren Bewohner in die ortsüblichen Schlichtbauten umgesiedelt und der überwiegende Teil der verbleibenden Resthöfe als Schaubauten in den neuen Vergnügungspark integriert werden]. Die rein auf Eigennutz basierende Fadenscheinigkeit dieser Argumentation war offensichtlich und schrie zum Himmel; was von dem einzigen objektiven Geist in Nachterstadt, dem Rechtsgelehrten Dr. Teichmann, glücklicherweise frühzeitig erkannt und sogar in einem ausführlichen Gutachten langweilig bewiesen wurde. Dazu analysierte Dr. Teichmann messerscharf heraus, daß die gesamte Festgesellschaft nur gegründet worden war, um sich unter dem Mäntelchen einer angeblichen Bürgerinitiative gepflegt zuschütten, besaufen und volldröhnen zu können. Die Saubande, die ausgeschamte! Aber was half's? Solange die Nachterstädter ihren Widerstand aufrecht erhielten, war die Planung gefährdet.
[Ende der ersten Szene]
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Szene 2
- Wie die Nachterstädter es immer doller treiben bis ihnen Bacchus, der Weingott, erscheint.
- Wie die Aufmerksamkeit des großen Vorsitzenden hin zu größeren Aufgaben gelenkt wird.
- Wie eine Abordnung der Niedersächsischen Akademie der Wissenschaften beim Versuch, den Plan des Autobahnzubringers zu verstehen, ins Delirium fällt und nur Dank einer Flasche Alten Hullmanns ins Leben zurückfindet.
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